Texte aus den 80ern

> Der Polizist in uns   > Ich glaub an dich   >> Die schöne Griechen-Araberin

Die schöne Griechen-Araberin

Du gehst, das muss ich erwähnen, gutgelaunt, weil heute ein erfrischend schöner Mittsommertag angebrochen ist, nach dem frühen Bad in deinen massgeschneiderten Latzhosen von Loos, dem Kleinstunternehmer hinter der Stadtkirche, die sind „in“ und sitzen gut auf straffer Haut und der Tag ist lau, ganz wohl ist dir noch nicht in diesen Latzhosen, doch voller Erwartung gehst du via Kiosk durch den Stadtpark zur Hauptpost, dein Schliessfach zu leeren, vielleicht hat’s Briefe, womöglich eine Zahlungsanweisung, bestimmt aber deine Zeitung, durch die morgendlich freundlichen Leute gehst du, überprüfst ab und zu deren Verhalten, Latzhosen trägt man nicht als Lehrer, schon gar nicht als Mittelschullehrer, nur Frau Berner winkt dir, diskreter als sonst, sie sitzt mit Frau Stadtammann und noch einer gediegenen Dame hinter leeren Kaffeetassen und dem Tagblatt, womöglich macht sie dich jetzt zum Gesprächsthema, könnte ja sein, die Latzhose, die Leserbriefe gegen dich, oder die Berner-Tochter, Herr Berner ist Einwohnerrat, Kunstmaler und bei der Tagblatt-Partei, da magst du froh sein, dass seine kluge Tochter nach diesen ersten acht Wochen noch immer zu dir in den Unterricht kommt, sogar gern, wie’s scheint, trotz der Leserbriefe im Tagblatt gegen dich; den Tauben musst du ausweichen, nur den Tauben, aber nicht zu offensichtlich, falls Frau Berner dir nachschaut; all die schmusenden Paare auf Bänken und Wiesen, bestimmt auch aus deinen Klassen, ein wildes Taubengurren, wer da nicht auf Ideen kommt, also greifst du in die oberste, die übergrosse Latz-Tasche, jawohl, da hinein hast du am Kiosk die Schachtel Griechische Zigaretten für C. gesteckt, klaubst dir ein Blatt vom Notizpapier-Vorrat  samt Kugelschreiber heraus, hier im Park kannst du nicht stillstehen und schreiben, vermeide jedes Auffallen, also weiter, zur Bahnhofstrasse hinauf, vielleicht steht ihr Wagen vor dem Schulhaus, nein, wie meistens in der Seitenstrasse knapp vor der Passerelle, genau: 133 533 mit Aargauer Schild, da denkst du dir ein Grüsschen aus: „meiner schönen lieben Griechen-Araberin“, du siehst ihr klassisches Profil vor dir, denkst an ihren munteren Zorn auf die Nordafrikaner, die sie jeweils ungeniert anmachen, aber darauf darf nichts hinweisen im Grüsschen,  falls C. den Zettel übersieht und zu Boden fallen lässt, warum sollte sie jedes Mal ihren Audi mit Blicken abtasten, ob auch heute ein Grüsschen von dir gesteckt ist, du faltest das Zettelchen längs, damit es im Türspalt nicht auffallen wird, und inseits kritzelst du beim Gehen „Hoi C, wie abgemacht, heute um 14 Uhr? herz...“ - deinen Gruss anzubringen, dazu kommt es nicht, Leute strömen das Strässchen über die SBB-Geleise herab und auf ihr Schulhaus zu, da gehst du seitab Richtung Bahnhof und schreibst hinter dem Bahnwärterhäuschen aussen auf den Zettel die Lettern "m. s. l. G.-A.“. Wenn du dann mit Blick auf ihren Wagen den Papierfalt zwischen Daumen- und Mittelfingernagel straff ziehst und zum Audi zurück gehst und du siehst, leicht erstaunt, dieselben Leute, die dir jetzt abpassen, auf dich zutreten, allen voran alt Stadtrat Hartmeier, offenbar mit Lehrer-Kollegen, die dich umstellen wollen, was sagst du, um der Gruppe auszuweichen, das Grüsschen kannst du jetzt ohnehin nicht stecken, und Genosse Hartmeier lacht dich schief an, bevor er dich fixiert: "wer hat dich beauftragt, hier Autonummern aufzuschreiben?" und seitlich stösst eine altgediente Lehrerin, du kennst sie nicht, auf dich ein:
„wer bezahlt Sie dafür, wer?“ und jetzt siehst du die glotzende Wut des schwarzkraushaarigen grossbebrillten Lehrers dir mit Fäusten drohen: "verschwinden Sie, aber rasch Moskau einfach!" - Ja, dann willst du doch alles gleich klarstellen: "wer sagt denn, dass ich Autonummern aufschreibe?", spürst das längsgefältelte Blättchen zwischen den Fingern: "einen Gruss hab ich notiert, ist doch erlaubt..." möchtest du sagen, das Zettelchen haben sie bis jetzt nicht bemerkt, deine Freundin kannst du jetzt nicht ins Spiel bringen, trotz ihres Audis bei der Gruppe, noch ist sie nicht gewählte Hilfslehrerin hier im Pestalozzi-Schulhaus. "Da, die beiden da, haben dir zugeschaut, wie du Autonummern aufgeschrieben hast!" und sie nicken, die beiden jüngeren Lehrerinnen. Herr Hartmeier sagt, was ist, und so winkt er jeden deiner Interventionsversuche ab: “dich kennen wir, da kannst du sagen, was du willst!“ Der alte Lehrer ermannt sich in heiligem Zorn und packt dich am Arm: "hau ab!“ - und umgeben von den nickenden, wissenden Kolleginnen entwischt er deinen schon fast ausgesprochenen Einwänden, die Treppen hinauf ins Seitenportal, doch Genosse Hartmeier kehrt nochmals um, zwei drei Schritte herab auf dich zu, er hört dir, das siehst du an seinen weggedrehten Augen, nur zu, um ein Schlusswort ohne Zeugen zu halten. Und was würgst du schliesslich heraus? "merken Sie nicht, alle fünf, was mit Ihnen abgeht: die reinste Projektion ist das, irgendein Vorurteil über mich diktiert Ihnen, dass ich Autonum-mern aufschreibe, nur weil Sie mich schreiben sehen.“ Und du gehst auf den Genossen zu, immerhin kennst du ihn aus Veranstaltungen der SP, an die du dich seit den Leserbrief-Kampagnen gegen dich hälst. "sind das Lehrer, die mich da aufs Geratewohl verdächtigen, wer sind sie?" und du darfst nicht zusammenzucken unter Hartmeiers Hohn: „kannst
du ja aus den Nummern lesen, die du aufgeschrieben hast!". Kein Lachen erlaubst du dir, versuchst es mit Klartext: "ich glaub’s nicht, Herr Hartmeier, Sie wollen gar nicht wissen, was ich hier mache, wahr ist nur, was Sie sich vorstellen... da, diesen Zettel, sehn Sie da?! keine Zahlen, nichts als Buchstaben! Ein simpler Gruss, den ich notiert hab...!“ - Jetzt aber halt an dich, nicht noch lauter reden!  Ohne Blick auf deinen hochgehaltenen Zettel sagt der Genosse "ist doch stadtbekannt, wie du das immer machst, spionierst und so..." – „hab doch noch nie Autonummern gesammelt!“ - "bringt nichts, mit dir zu reden, einer wie du gäb das ja nie zu!" und so steigt auch Genosse Hartmeier empor zu den Hallen des Pestalozzi-Tempels, und du stehst da, möchtest schreien: "sagen Sie  das Ihren Kollegen, sie sollten dringend über ihre projektionsbedingten Verdächtigungen nachdenken..!" - du zitterst, aber schweigst, wütest über dich, deine Unfähigkeit, solchem Hass locker oder gar lachend entgegen zu treten. Du trottelst zur Hauptpost, schämst dich, das Zettelchen überhaupt erwähnt zu haben, sorgst dich um C., denn dumm ist Genosse Hartmeier ja nicht, er könnte kombinieren und die Schule erfahren, mit wem C. verkehrt, es sei denn, man hält dort drin unbedingt an der Nummern-Spionage fest...

Die kleine Honorar-Auszahlung freut dich kaum – hast nicht nachgeschaut, ob es für die Führung im Kunsthaus oder für die Theaterkritik kam - nicht einmal die Schlagzeilen der Zeitung überfliegst du, du setzst dich an einen leeren Tisch ins Strassencafe schräg gegenüber dem Pestalozzischulhaus. Du weisst nicht, in welchem
Zimmer C. unterrichtet, abfangen kannst du sie jetzt nicht, anrufen geht auch nicht, seit dem häufigen Knacken in deinem Festnetzanschluss vermeidet ihr fast jeden telefonischen Kontakt;
um zwei, wenn sie zum halb und halb abgemachten Nachmittags-Trunk kommt, falls sie kommt, gibst du ihr die Zigaretten-Schachtel und machst ihr klar, dass du sie im Umkreis ihres Schulhauses nicht mehr treffen darfst. Den heissen Kaffee, den du sofort bezahlst, schüttest du hinunter, gehst zurück durch den Park, Frau Berner lächelt, aber winkt nicht, du hälst dich ans Zeitungsbündel, nein, man sieht auf ihrer Seite das Rot des "Freien Aargauers" nicht,
auch der Tagblatt-Kopf ist für sie nicht sichtbar, das Postcheck-Couvert verdeckt beides, es gelingt dir, zurückzulächeln, keinen unsichern Schritt zu machen und auch nicht allzu gebückt am Tisch der Frau Stadtammann, die gerade aufbricht, vorbeizukommen, denn du vertiefst dich möglichst gelassen in die Titelseite des Freien Aargauers: "15’000 Menschen verschwunden' - so entledigt sich die argentinische Junta ihrer politischen Gegner...“

Aarau, den 21.Juni 1979
aufgefunden 14. Feb. 2010

Top