Texte aus den 80ern

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Ich glaub an dich

Unter dem Namen Sandro Bucher publiziert in „Ein Volk schreibt Geschichten“ S.68-71, Beobachter-Verlag, Glattbrugg-Zürich 1984

Sie hat mir einen Brief geschrieben. Einen warmen Brief. Einen heissen Brief ins Militär. Bereits den dritten Brief und plötzlich diese Wärme. Und kein Wort von meiner Frau, obwohl sie wissen muss, dass ich seit Jahren mit Kathrin zusammenlebe. Kathrins Atem geht schwer, sie klammert sich an mich und weint ganz leise. Sie hat die Heimkehr aus dem Offizierskurs kaum erwarten können. Ungewöhnlich oft hatte ich diese Woche an Kathrin gedacht, gestaunt, dass sie die Trennung so leicht nahm, während ich traurig war, leer und gedämpft. Kathrin weiss doch, dass mich der Dienst flachdrückt, jedesmal bin ich so kalt nachher, jedesmal ist mir flau, bin ich nicht recht dabei, wenn sie mich stürmisch küsst, kost, liebt. Voller Bilder schwirrt mir der Kopf, tief hinter der Stirn nagen Bilder und Fakten vom Kurs, von den Spätabendgesprächen in den Weinstuben des Städtchens. Die fünftausend Jahre Kampf und Streit um Palästina, die Unlösbarkeit der Ansprüche von Christen, Israelis, Arabern, und immer wieder die Machtinteressen von West und Ost. Aufmarschachsen, Attentatsdaten - und dieser Brief von Christa: sie habe ganz stark das Gefühl, dass wir uns Zeit nehmen müssten füreinander. Kathrins Arme lockern sich, sanfter schmiegt sie sich an, ein paar Tränen fallen schon kalt auf mich, rinnen seitab. Sie streicht mit warmen Händen, Armen, Wangen, Brüsten und Lenden über und um mich und schweigt mich an, lange. Wo ich sei, fragt sie; plötzlich sei mein Streicheln mechanisch geworden. Dann deckt sie mich und sich zu, ohne von mir zu lassen, die liebe, gute, wache Kathrin. Ob es der Brief dieser Schülerin sei, den ich nebenbei schon am Bahnhof erwähnt hatte, sie habe doch gleich gemerkt, dass da mehr dahinterstecke, sonst hätte ich nichts davon gesagt. Kathrin legt sich warm und stark auf mich. Sie weiss, dass ich Heikles nicht unumwunden ausbreite, nicht unbefangen zu meinen Gefühlen stehe. Und unklar sind sie, weiss Gott. Den ersten Brief Christas habe ich beantworten müssen, geb' ich zu verstehen. Ein halbes Jahr nach der Matura beantwortet sie meine Frage: Was hat Ihnen mein Unterricht gebracht? Eine einzige Kritik, mein Kommentar unter der letzten Arbeit, sei die sorgfältigste und beste gewesen in dem Sinne, dass sie dem Aufsatz gerecht worden sei. Wie hätte ich daraus keinen Vorwurf heraushören wollen. Und da Christa sich beunruhigt zeigte durch meine Kritik, musste ich doch darauf zurückkommen, ihr schreiben, ihr klarmachen, was ich zu beobachten glaubte, ihr andeuten, wie sie, die gefühlsmässig recht gut begriffe, mit ihrer Gefühlswahrnehmung hingegen verstandesmässig kaum umzugehen wisse, wie sie, wie man derlei angehen könnte. Und zudem hatte Christas Brief mit dem Hinweis geschlossen, jetzt sei sie aber gespannt, ob ich sie verstehe.

Kathrin ist inzwischen von mir geglitten, sie holt sich allerdings meinen Arm, ihre Wange darauf zu betten. Ich müsse mich doch nicht rechtfertigen, meint sie fragend. Also hat sie's gespürt, wie nah mir die Sache geht. Ob ich ihr die Briefe zeige. Ja schon, warum nicht. Nein, ich soll sie nicht holen, sie habe nur wissen wollen, wie schlimm es sei. Vielleicht aus Trotz, jedenfalls um etwas zu beweisen, ich weiss nur nicht recht was, hole ich die Briefe, auch halbwegs belustigt, in was ich zu schlittern beginne. Kathrin sitzt aufrecht, zieht die Decke über ihren Busen. Schämt sie sich? Meinetwegen? Die Briefe, die ich ihr hinhalte, sieht sie nicht an, was mich beunruhigt, sie nimmt's wohl doch nicht so tragisch. Die postwendend geschriebene erste Antwort ... Also mehrere Briefe hast du ihr geschrieben. Nun ja, den ersten Brief, nein, keinen gleich langen, bloss zwei Seiten, natürlich nicht Schreibmaschine, würdest du etwa dafür die Maschine .. ? Gewiss habe ich im ersten Brief etwas gewagt geantwortet, vom Respekt vor ihr, Christa, auch etwas von Angst und sogar Wut, weil sie nicht sehr oft meinem Bild von ihr und ihrem Niveau gewachsen sich gezeigt habe. Ich lege mich hin, die Briefe zwischen mir und Kathrins wohlgeformtem Rücken flattern in meinen leicht zittrigen Fingern. Auf und ab schwimmen und verschwimmen Erinnerung und Gefühl zwischen beschönigender KlarsteIlung und leisem Stolz, dass mich diese Schülerin, die ich wirklich mochte, plötzlich anspricht, in fast unverstellter Offenheit bekennt: Ich glaube an Dich. Dann die Beschämung, Christas Zutrauen Kathrins Wohlwollen auszusetzen. Und Kathrin verletzen will ich auch nicht. Wie dartun, dass «Respekt vor Christa» ganz anders, bestimmt nicht verfänglich aus meiner Sicht, formuliert war.

Schade, argumentiert es mir in Kathrins traurig auf mich zurücksinkende Augen hinein, echt schade sei es, dass ich von meinen zwei Briefen keine Kopie gemacht hätte. Da, in der Anrede des zweiten Briefs, schreibe Christa: eben falle ihr auf, dass sie mir lieber den Vornamen sagen möchte, sie sei tief berührt von meiner Antwort, sie hätte nie diese Offenheit erwartet. Kathrin legt sich zu mir, gut so; sie lässt mich nicht aus den Augen. Ich möchte sie streicheln, ich tu's, und sollte es wirken wie Verrat. Meine Offenheit war mir bewusst. Ich will offen sein. Auch zu Kathrin. «Was Sie da über Gefühl geschrieben haben», lese ich Kathrin vor, «macht mich richtig glücklich.» Der Satz über die Wut auf sie sei ihr, Christa, aber unverständlich geblieben. Und ausserdem habe ihr meine komplizierte Sprache missfallen, versuche ich die Stille zu überspielen. Christa schreibe - und das sei mir sehr merkwürdig vorgekommen, so wichtig jedenfalls, dass ich noch vor dem Einrücken habe mit dem zweiten Brief nachfragen müssen -, ich würde von vielen Menschen schlecht gemacht, es werde über mich geredet, ich hätte meine Vergangenheit, aber das interessiere sie nicht. Dies nun weckt Kathrins Interesse. Sie will selber lesen. Ich liege schweigend bei ihr. Warte. Lege behutsam die Hand auf Kathrins Haupt, abwartend, halb bänglich - halb neckisch mit den Fingern ihr Haar einrollend und zupfend. Kathrin schaut auf, lässt die Blätter auf meine Decke fallen. Ob ich beim Lieben vorhin an Christa gedacht habe? Mein leerer Blick überzeugt, wiewohl ich verschweige, dass ich tatsächlich kurz davor, doch ohne jedes entkleidende Betrachten, mich Christas Gestalt erinnert hatte. Und wieder das mulmige Gefühl von Unterschlagung.

Kathrin sitzt am Bettrand, auf ihrer Seite. Immerhin hat sie sich nicht angezogen. Ich rede zur Schlafzimmerdecke, obwohl ich mich an Kathrin anschmiegen möchte. Sie nickt bloss zu meinen Beteuerungen, es sei mir halt wichtig erschienen, von Christa herauszubekommen, was über mich, den politisch exponierten Lehrer, geredet werde.

Darum hätte ich im zweiten Brief ausdrücklich betont, mit meiner Vergangenheit eins zu sein, sie mache mich aus. Brüsk reisst Kathrin die Blätter an sich, vertieft sich in den letzten Brief Christas: « ... dass wir uns Zeit nehmen müssen, füreinander.» Ob ich denn blind sei oder mich stelle: «Zu Deiner Vergangenheit: Mir spielt es keine Rolle, was andere über Dich sagen, denn ich lerne Dich durch Dich kennen.» Die meine doch nicht meine politische Vergangenheit, sondern meine private - triumphiert in Kathrins Stimme kein bissehen Hohn, wie sie aufsteht und auf mich kniet? Und jetzt beisst sie mich in den Finger, unnachgiebig lang und fest. Ich wälze mich vergeblich, schreie, umsonst. Dann endlich lässt mich Kathrin, doch sie lässt nicht von den Briefen, hockt sich auf meinen Magen: Was ich mir einrede, ganz einfach verliebt sei die, sagt Kathrin mit kühler Stimme: «Ich glaube an Dich.»

Jetzt gelingt es mir, Kathrins Brüste zu fassen. Nein, ich beherrsche mich, kralle so, dass es sie nicht schmerzt. Christa wisse bestimmt von meiner Scheidung, brütet Kathrin, darum kneife sie, anzugeben, was denn die Leute über mich reden. Wild und schön ist meine Lebensgefährtin, wenn sie so unbedingt liebt, so entschlossen zu sich steht. Bitter vor Schmerz und mild vor Scham, da ich Kathrins Wirbelsturm begreife, doch nicht bejahe, auf jeden Fall halte ich mich mühsam an die Erinnerung, Christa ausschliesslich auf ihre Schulzeit angesprochen zu haben, und nehme Kathrin die Briefe weg, um ihre Fäuste zu packen, die mir auf Bauch und Brust prasseln. Doch keiner Schuld bin ich mir bewusst. Auch wenn ich zugebe, Christas Entflammen womöglich veranlasst zu haben. Solch eine Tochter hätte ich mir damals gewünscht, über das Mass der andern Burschen und Mädchen jener Klasse, die ich alle sehr gern gehabt, hätte ich sie, Christa, liebgewonnen, weil sie dem Lehrer nicht schülerhaft begegnet sei, sondern wie ein Partner, kritisch, selbstbewusst, eine reife Frau. Ein Schwall Schamglut steigt mir zu Kopf beim Erinnern dieser Sätze. Nicht aber Schuld. Die Nadja, Christas Freundin aus derselben Klasse, von ihr hätte ich ja soviel mehr, nein, von Christa hatte ich vordem doch überhaupt nie etwas erzählt, oder? - Kathrin bestätigt es unwillig mit halb lachendem Angriff auf meine Finger, die sich unvorsichtigerweise an ihre Lippen vorgewagt haben. - Diese Nadja habe mir doch unvergleichlich grössern Eindruck gemacht, ob ihr, Kathrin, das als Beweis genüge? «Ich glaube an Dich», protestiert Kathrin, und wie der Blitz saust sie mir zwischen die Beine, ihre Zähne schlagen in mein Geschlecht. Beim Aufschnellen prallen unsre Köpfe zusammen, wild vom Schmerz wälze ich mich auf dem Bett, wühle den Kopf in die Hände, kann den ungeheuren Stich und Brand in der Lende nicht verwinden, suche, unbeholfen in Kathrins Gesicht herumtappend, ihre Stirn zu ertasten, um die Beule zu streicheln dieses Biests von Frau, mit der ich fünf Jahre ausgiebigster Liebe verbrachte. Und ich presse sie mit starken Armen an mich, suche ihr Ohr, flüstere ihr zu, jetzt sei sie zu weit gegangen. Keine Träne, weder bei mir noch bei ihr. Sie küsst meine Stirn feucht. Wir liegen schweigend.

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